Folge III – „Vögel unterschiedlicher Größe“. Von semantischer Elastizität und definitorischer Präzision.
In der dritten Folge spricht Lea Schneider über das Übersetzen aus dem Chinesischen. Anhand des Gedichts einförmiges leben, unförmiges gedicht/ 平淡的生活,生硬的诗 des Lyrikers Sun Wenbo 孙文波 gibt sie Einblick in die spezifischen Herausforderungen beim Übersetzen chinesischer Lyrik. Während Übersetzen in allen Sprachen und Textsorten immer auch eine Arbeit des Entscheidens ist, nimmt dieses in chinesisch-deutschen Übersetzungen einen ganz besonderen Stellenwert ein, wie Lea Schneiders kurze Einführung in den Aufbau der chinesischen Sprache zeigt. Da die Schriftzeichen außerhalb ihres jeweiligen Kontextes größtenteils keine eindeutige Bedeutung haben, sondern vielmehr ein ganzes Feld von Bedeutungen enthalten, kann also – insbesondere in der Lyrik, in der der Kontext oft unklar oder stark kondensiert ist – eine beeindruckende Polyvalenz in der Sprache entstehen, der die definitorische Genauigkeit des Deutschen in starkem Kontrast gegenübersteht. Innerhalb dieser semantischen Weite des Chinesischen gilt es also, die spezifische Sprache und Stimme des oder der Autor:in im Übersetzen "wiederzuerfinden". Eine Aufgabe, die nicht nur das "closeste Close Reading, das ich leisten kann" erfordert, sondern immer auch einen "politischen Akt" darstellt, wie Lea Schneider mit Blick auf ihre Position, Aufgabe und Verpflichtung als Übersetzerin erläutert.
Wir danken dem Verlagshaus Berlin, Sun Wenbo sowie Yimeng Wu für die freundliche Genehmigung zum Abdruck des deutschen und chinesischen Textes sowie zur Verwendung der Illustration.