Übersetzen im Gespräch | Folge I
- Kristin Sauer mit:
Un rossignol aux bosquets miens / Die Nachtigall bei mir im Wald
Toi qui soulages ta tripe / Du, der du deinen Darm verwöhnst
- Katherina Scholz mit:
Le Faune rêverait hymen / Der Faun erträumte Hymen
Ami, bois ce jus de pomme / Freund, trink von diesem Apfelsaft
- Cornelia Ortlieb mit:
Spirituellement au fin / Voller Geist noch tief im Innern
Palpite, Aile, mais n’arrête / Schlag, Flügel, aber ohne Halt
- Vera Vogel mit
A moins qu’il ne hante la nue / Wenn er nicht zur Nacktwolke eilt
Vers brûlants et sages proses / Verse feurig, keusche Prosa
- Christin Krüger mit:
Leur lévrier industrieux / Ihr Windhund, alert in der Bö …
Pierre ne va pas, zélée / Stein im Eifer sei doch nicht …
Mallarmé (1842–1898) hat als Dichter, Übersetzer und Visionär der Avantgarde-Künste ein vielgestaltiges Werk hinterlassen, das teils zumindest im deutschsprachigen Raum noch nahezu unbekannt ist. Dazu gehört die hier übersetzte Buchausgabe der Vers de circonstance/Verse unter Umständen, 1920 in Paris herausgegeben von seiner Tochter Geneviève und deren Ehemann Edmond Bonniot. Die Gedichte in meist vier Versen, mit typischerweise acht Silben waren einst auf ihrerseits ‚sprechende‘ Gegenstände geschrieben, darunter Briefumschläge, Visitenkarten, gefaltete Papierfächer, Photographien, Ostereier und Kieselsteine und sind durchgehend anderen Personen gewidmet, die typischerweise auch namentlich genannt sind. Häufig scherzhaft, galant oder freundschaftlich-neckend spielen viele Verse auf Eigenheiten, Gewohnheiten oder Verhältnisse ihrer Adressatinnen und Adressaten an. Zur Besonderheit dieser Dichtung gehört so auch ihre Verankerung in Szenen des geselligen Lebens und entsprechend ritualisierten Praktiken und Umgangsformen, die wiederum ältere poetische Traditionen zitieren und diese für die Salons, den Künstlerfreundeskreis Mallarmés und den literarischen Markt in Paris, der ›Hauptstadt der Moderne‹, modifizieren.
Jede Übersetzung kann so nur ansatzweise die Fülle von Anspielungen, Bezügen und Mehrdeutigkeiten der teils mehrsprachigen Gedichte mit ihren vielen unübersetzbaren Eigennamen erhellen: Auch diese vermeintlich beiläufig geschriebenen Verse müssen eigentlich jeweils als Schrift- und Klanggebilde gelesen werden, damit das virtuose Spiel mit Buchstaben und Lauten annähernd erfasst werden kann. Das beschriebene und beschriftete Objekt verlangt zudem je eigene Aufmerksamkeit, zumal dort, wo die Verse auf Dingen deren spezifische Materialität benennen und selbstreflexiv kommentieren. Im gemeinsamen Versuch, das typische Silbenmaß des Vierzeilers Mallarmés und dessen charakteristische Reimstruktur nachzuahmen, zeigen sich die kollaborativ erarbeiteten deutschen Fassungen hier in mindestens fünf verschiedenen Perspektiven.