Workshop | Manifeste der Theorie: Schreibweisen und Stilformen einer Textsorte
Organisiert von Michael Gamper (EXC 2020) und Oliver Simons (Columbia University), Projekt "Theory Circulation", Research Area 4: "Literary Currencies".
Etymologisch ist das Manifest dem lateinischen manifestus entlehnt, das wörtlich als "offenbar", "augenscheinlich" oder "handgreiflich" zu übersetzen wäre. Als Textform hingegen wurde das Manifest vor allem mit agonistischen Programmschriften in Verbindung gebracht, die wie die Deklaration, das Pamphlet, die Verfassung oder auch der Katechismus auf die effektive Durchsetzung ihrer Position bedacht ist. Seit Karl Marx und Friedrich Engels ihr Kommunistisches Manifest 1848 erstmals veröffentlichten, wurde das Manifest als Genre und Schreibform vielfach aufgegriffen und variiert: Als öffentlichkeitswirksamer Sprechakt von Souveränen wie Kaiser Franz Joseph, der seine Kriegserklärung "Manifest" genannt hatte, oder auch als auch politische Oppositionsschrift von Revolutionsparteien. Spätestens seit den europäischen Avantgarden hat das Manifest zudem eine eigentümliche Literatur- und Stilgeschichte. Die Manifeste des Futurismus, Dada und Surrealismus erklären ihre jeweiligen ästhetischen Programme in einer spezifischen Schreibweise.
Bemerkenswert ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auch Theorie-Positionen mittels der Textform des Manifests propagiert wurden. Alan Badiou etwa hat nicht nur das kommunistische Manifest ausführlich behandelt, sondern auch seine eigene philosophischen Manifeste verfasst; zu denken wäre ferner an Donna Haraways Cyborg Manifesto, 1985 erstmals erschienen, an Rita Felskis Uses of Literature in der Buchreihe Blackwell Manifestos, das in vielerlei Hinsicht grundlegend für ihre späteren anti-theoretischen Texte ist, oder an Bruno Latours "An Attempt at a 'Compositionist Manifesto'" von 2010. So unterschiedlich diese Publikationen sein mögen, sie alle greifen auf dasselbe Genre zurück, um sich gegen bestehende Konventionen in der Theoriegeschichte auch und vor allem mittels eigener Schreibweisen und Stilformen zu positionieren.
Ziel des Workshops ist es daher, die Geschichte des Genrestils theoretischer Manifeste mittels einschlägiger Beispiele zu diskutieren. Zu fragen wäre dabei, welche Öffentlichkeits- und Verbreitungsstrategien die jeweiligen Texte mit dem Genre verfolgen? Welche verwandten Textsorten finden sich in der Geschichte der Theorien, und von welchen Genres unterscheiden sie sich? Welche Argumentationsstile sind in den jeweiligen Texten zu beobachten, und inwiefern dienen sie der Herausbildung eigener Schreibweisen? Von welchen latenten Theoriestilen suchen sich die Texte jeweils abzugrenzen? Und schließlich: Lassen die jeweiligen Textbeispiele Rückschlüsse auf eine allgemeine Geschichte theoretischer Schreibweisen zu?
Programm
Donnerstag, 13. Juli 202309:15 | Michael Gamper (EXC TC), Oliver Simons (Columbia University): Begrüßung und Einführung
09:30 | Florian Fuchs (EXC TC): Guy Debord: La Société du Spectacle (Buchversion 1967, Filmskript 1973, Film 1973)
10:15 | Moritz Gansen (ZfL Berlin): Gilles Deleuze und Félix Guattari, Rhizom (1976)
11:00 | Pause
11:30 |Julia Weber (Freie Universität Berlin): "In this sense, this book, too, is a dildo". Paul Preciados Countersexual Manifesto
12:15 | Anders Engberg-Pedersen (University of Southern Denmark): The Martial Style: Michel Foucault
13:00 | Mittagspause
14:30 | Cosima Mattner (Columbia University): Susan Sontag
15:15 | Andreas Lipowsky (ZfL Berlin): "Writing against Culture". Lila Abu-Lughods Manifesto für eine partikularistische Ethnografie
16:00 | Luca Arens (Columbia University): Caroline Levine's New Eudaimonism
16:45 | Pause
17:30 | Oliver Simons (Columbia University): Rita Felski – Kritik als Stil
18:15 | Susanne Strätling (Freie Universität Berlin): Das Manifest als Genre der Theoriekritik
19:00 | Schlussdiskussion
Time & Location
Jul 13, 2023 | 09:00 AM - 07:00 PM
Habelschwerdter Allee 45
Raum JK 31/121
14195 Berlin
Further Information
Call for Papers: Deadline 15.04.2023
Interessensbekundungen entweder für einen Textvorschlag inkl. Kurzpräsentation der konkreten Problemstellung des Textes oder auch für eine Teilnahme als Diskutant:in an michael.gamper@fu-berlin.de.
Ein Reader für die Lektüre der Kurzvorträge kann über Anfrage via Mail an annika.gebhard@fu-berlin.de zur Verfügung gestellt werden.